Fähre für die Armen

Die Passagiere der 1. Klasse

Es ist ziemlich schwierig die Menschen von heute, mit den Menschen von damals zu vergleichen.
In der heutigen Welt gibt es bestimmte Lebensweisen und Ansprüche, die die Menschen der Welt 2005 leben für völlig normal halten. Diese wiederum würde jemand aus dem Jahr 2097 für absurd und fremd halten, obwohl es nur 92 Jahre Unterschied sind.


Die Passagiere der 2. Klasse



Sie umsorgt die Reichen und existierte als Fähre für die Armen. Aber es gab noch eine weitere Klasse, die verschwenderisch mit der Titanic reiste... die Second-Class (S.C.)

Viele der S.C.-Reisenden hatten nicht einmal die Absicht, mit der Titanic zu fahren. Sie wurden von anderen Schiffen auf die Titanic umgelegt, da sie z.B. keine Kohlen hatten und nicht auslaufen konnten. Obwohl es keine großen Untersuchungen gab, enthüllt die Literatur, daß viele die S.C. mit der Ursache des Unfalls in Verbindung bringen. Diese "realistischen Denker" waren wahrscheinlich besser informiert über die Gewohnheiten der First und Third Class, als so manch ein Mitglied dieser Klassen. Einige hatten tatsächlich Vorahnungen: "Meine Mutter schlief nur am Tag. Sie wußte, daß etwas geschehen würde, nur nicht wann und wo."

Aber auf jeden unheimlichen Passagier kam einer, der glücklich war, mit der Titanic zu reisen. Die S.C.-Kabinen waren schöner als die First-Class-Kabinen so manch anderer Liner. Um genau zu sein, eigentlich waren manche Third-Class-Kabinen besser, wie die First-Class-Kabinen anderer Schiffe.

Der Lehrer Lawrence Beesley schrieb eines der ersten Bücher über die Titanic 1912. Es war ein Tatsachenbericht. Kurz darauf veröffentlichte der First-Class-Passagier Archibald Gracie sein Buch über den Untergang. Vielleicht zeigt schon die verschiedene Erzählweise, wie unterschiedlich das Denken dieser Klassen war. Beesley's Buch ist einfach. Es erzählt die Geschichte gerade heraus. Sie beginnt bei Punkt A und arbeitet sich bis nach Z durch.
Gracie hingegen überließ zuviel Schuld am Tod so vieler Menschen und nur 705 Überlebender in Gottes Hand. Jedes Kapitel besaß ein Zitat aus der Bibel. Er tat dies, um die Ursache des Unglücks zu unterstreichen: "Der Herr gibt und der Herr nimmt." Bessley schaffte es auf seine pragmatische Weise, auf die kleinen Dinge aufmerksam zu machen, die wichtig waren, aber bisher ignoriert worden waren. Gracie jedoch, spirituell angehaucht, ignorierte die menschliche Seite des Unglücks und die Tatsache, daß man die Tragödie hätte verhindern können.

Er starb später an einer Lungenentzündung. Sein Arzt bestätigte, daß die lange Zeit im kalten Wasser des Atlaniks seine Lungen und seinen allgemeinen Zustand sehr geschwächt hatten.
Beesley starb als glücklicher Mann in den 60er Jahren. Während der Dreharbeiten zu dem Film "Eine Nacht voller Erinnerungen", spielte er einen unbeachteten technischen Berater. Als die Szene des Untergangs gedreht wurde, fiel er dem Regisseur auf, der ihn sogleich aus dem Film nahm. Beesleys Gegenwart wäre eine ethische Verletzung gewesen und hätte die Produktion stoppen können.

Eine der herzzerreißenden Geschichten über die S.C-Passagiere war die Tatsache, daß Kinder einfach verlassen und ihrem Schicksal überlassen wurden. So auch bei Loraine Allison.

Ein stiller Witwer mit seinen zwei Söhnen kam in Southampton dazu. Der Witwer, ein Louis Hoffmann, war begierig darauf, nach Amerika zu kommen und dort mit seinen mutterlosen Kindern einen Neuanfang zu beginnen.

Die beiden Söhne waren entzückend und erweckten matronenhafte Erregung in manch einer First- und Second-Class-Passagierin. Hr. Hoffmann war nie um Frauen verlegen, die gerne an seinem Tisch sitzen wollten. Er sprach gebrochenes Englisch und seine Söhne gar nicht. Das Trio machte sicher den Eindruck einer glücklichen Familie und Hr. Hoffmann wurde von allen Seiten viel Glück gewünscht.
Aber Hr. Hoffmann hatte gelogen. Die Mutter der Kinder war nicht verstorben und auch sein Name war nicht Hoffmann.

Sein richtiger Name war Michael Novratil und die beiden Kinder mit den Spitznamen Lolo und Momon hießen Michael jr. und Edmond Navratil. Er hatte die beiden, bei dem Versuch seine Söhne wiederzubekommen, gekidnappt. Novratil hatte einige Freunde überzeugt, ihm zu helfen. Er sagte ihnen, daß seine Frau Morcelle untreu gewesen wäre. Er verschleppte die beiden Kinder über die italienische Grenze nach Monte Carlo und von dort ging es zum Hafen von Southampton.

5 Tage später beobachtete er, wie seine Söhne in das Rettungsboot Nr. 11 gesetzt wurden und in Sicherheit kamen. Selbst da gestand Novratil niemanden seinen Betrug und kam bei dem Unglück um. Unter den First-Class-Passagieren war Margaret Hayes, die die beiden Titanic-"Waisen" zu sich nach Hause nahm. Dann begann die Suche nach Verwandten.

Wenn sich diese Situation in der heutigen Zeit abgespielt hätte, wie wäre es wohl dann geendet? Würde ein Fremder zwei Waisen aufnehmen und dann alles tun, um ihre Verwandten zu finden? Hätte sich die Presse genauso zur Hilfe angeboten, wie sie es damals tat? Oder wären die beiden einfach in ein Heim gekommen.

Aber 1912 war eine andere Welt.

In Italien hatte sich Morcelle Novratil bereits damit abgefunden, ihre Kinder nie wieder zu sehen. Sie waren ohne ein Wort, ohne ein Zeichen bereits über einen Monat verschwunden. Dann, durch puren Zufall, sah sie die Titelseite einer Zeitung mit der Geschichte ihrer Kinder. Da sie mittellos war, bezahlte diese Zeitung ihr sogar die Überfahrt nach Amerika, um ihre Kinder zurückzuholen.

Michal jr. ist einer der letzten Überlebenden. Im August 1996 kehrte er an die Unglücksstelle im Nord Atlantik zurück. Die RMS Titanic, Inc. Wurde ebenfalls gehuldigt. Diese Zunft hat die Bergungsrechte der alten Titanic.

Die Passagiere der 3. Klasse



Die White Star Line hatte ein Problem. Eigentlich kannte jedes Passagierschiff dieses Problem, wenn sie weiterhin existieren wollten. Die Third-Class-Passagiere waren wie das Brot und die Butter für die Dampfschifffahrt. Dennoch wollte niemand die Abhängigkeit von dem Einwandererstrom, zumeist grobe Leute ohne jegliches Benehmen, zugeben.

Wie sollte man also mit diesen Leuten umgehen? Die White Star Line hatte eine brillante Idee. Sie bauten die Kabinen und Aufenthaltsräume so elegant, wie es ein Third-Class-Passagier noch nicht gesehen hatte. Unter diesen Umständen würden sie zufrieden sein und keinem, weder der Schiffscrew, noch den angenehmeren First-Class-Passagieren, im Wege sein.

So wollte die White Star Line beim Bau der Titanic verfahren. Einige der Third-Class-Kabinen waren sogar so luxuriös, daß sie fließendes Wasser besaßen. Viele dieser Luxusausstattungen besaßen die Reichen auch Zuhause und waren für diese alltäglich. Die Third-Class-Reisenden hatten so etwas noch nie gesehen und auch in ihrer zukünftigen Heimat war das nur ein Traum. Die Illusion wurde perfektioniert, denn sogar in der Third-Class gab es einen Raucherraum für die Männer.

In früheren Tagen wurden die Einwanderer noch in den Frachträumen des Viehs untergebracht. Somit bot die White Star Line und andere Liner dieser Klasse einen neuen Luxus. Diesen Luxus sahen die anderen Klassen als Notwendigkeit; das Denken über die Third-Class hatte sich trotzdem nicht geändert. Die Third-Class-Passagiere wurden nur als menschlicher Ballast eingestuft. Ihre Anwesenheit wurde gebraucht, um das Schiff in der richtigen Lage zu halten und Umsatz für die Liner Company zu schaffen. Das war der einzige Grund.

Auf der Titanic wurde alles versucht, um die Menschen separat zu halten. Die Third-Class wurde so plaziert, daß sie nicht mit den Reichen in Kontakt kamen. Selbst der Kontakt untereinander sollte auf ein Limit herabgesetzt werden.

Die alleinreisenden Männer wurden auf den untersten Decks am Bug des Schiffes untergebracht. Alleinstehende Frauen waren auf demselben Deck, aber auf der anderen Seite des Schiffs. Als "Puffer" zwischen den Geschlechtern dienten die Familien. Die Notwendigkeit, diese Passagiere mitzunehmen war schlimm genug. Man wollte jedoch auf keinen Fall die Voraussetzung für eine Liaison dieser Leute schaffen.

Sie waren aus allen Ecken Europas gekommen, um mitzureisen. In allen europäischen Großstädten hatte die White Star Line geworben. In Southampton, Cherbourg und Queenstown waren Menschen mit ihrem gesamten Vermögen, verpackt in Bündel, da zugestiegen. Die verschiedenen Sprachen erwiesen sich nicht als Barriere unter den Third-Class-Passagieren. Erzählungen berichten von Gesang und Tanz, einer Leichtherzigkeit und Unbesorgtheit, mit der sie auf das neue Leben sahen, das sie erwartete.

Nach dem Untergang stellte sich für die White Star Line heraus, das nicht alle so über die Third-Class-Passagiere dachten wie sie. Als sie gezwungen wurden, sich zu rechtfertigen, warum so viel mehr weibliche Third-Class-Passagiere umgekommen waren als männliche First-Class-Passagiere, erwähnten sie sprachliche Probleme. Außerdem wäre es schwierig gewesen, unter den Third-Class-Reisenden Ruhe zu bewahren.
Was sie vergaßen zu erwähnen, war die eingebleute Antipathie der Besatzung gegen diese Klasse.

Daniel Buckley war der Mann, der als Frau verkleidet gerettet wurde. Madeline Astor hatte ihm ein Kopftuch gegeben, nachdem sie ihn unter der Bank des Rettungsbootes fand. Er bezeugte später, gesehen zu haben, wie die Schiffsbesatzung die Third-Class-Passagiere daran hinderte, an Deck zu gelangen. Auch andere Überlebende bestätigten dieses, es waren jedoch später nur zwei Personen bereit, vor dem Senat auszusagen.

Ein Gentleman, der First-Class-Passagier Archibald Gracie, bezeugte, gesehen zu haben, wie einige Momente nachdem das letzte Rettungsboot abgesetzt wurde, Männer und Frauen auf das Deck strömten. Er hatte geholfen, die Boote zu füllen und herabzulassen, seit dieser Befehl gegeben wurde, und dachte bis zu diesem Punkt, daß alle Frauen und Kinder das Schiff bereits verlassen hatten. Jetzt, da das Schiff unterging, stürzte eine menschliche Flutwelle aus Frauen, Kindern und Männern an Deck.

Es wäre dumm, anzunehmen, daß dieses allein durch Kommunikationsprobleme zwischen Crew und Passagieren entstehen konnte.

Ein weiteres Problem war ohne Zweifel die schlechte Verständigung zwischen Crew und den Offizieren. Es schien, daß Lightoller nur aus zwei Gründen an dem unteren Decks interessiert war.
Erstens, um das aufsteigende Wasser zu stoppen und zweitens um die Gangways öffnen zu lassen, von denen die Passagiere leichter in die Boote hätte steigen können.
Nichts davon wurde durchgeführt und keiner seiner Crew kehrte zurück.

Es gab nur drei Rettungsmöglichkeiten für einen Third-Class-Passagier: Sich wie Buckley in einem der Boote zu verstecken, sich durch die Besatzungsmitglieder bis nach oben auf das Deck zu kämpfen, oder an Deck zu warten, bis ein Rettungsboot herabgelassen wurde, in dem noch Platz war und zu springen.
Es gab anscheinend nur ein Besatzungsmitglied, das in die unteren Decks ging, um dann mit einer handvoll Frauen wieder hoch zu kommen. Dann ging er wieder runter und holte die nächste Gruppe. Ein Offizier befahl ihm, nachdem er diese Gruppe in ein Rettungsboot gesetzt hatte, selbst in eines zu steigen. Unter Deck warteten immer noch Frauen und Kinder, die er angewiesen hatte, auf Ihn zu warten bis er sie holen würde.

Während den amerikanischen Untersuchungen schien es Senator Smith, als gäbe es versteckte Gründe für die Tatsache, daß fast 50 % aller First-Class-Passagiere gerettet wurden. Dagegen jedoch nur 50 % aller Frauen und Kinder der Third-Class. 80 % aller Männer dieser Klasse waren tot.

Smith befragte drei männliche Third-Class-Passagiere hierzu. Man könnte meinen, er wäre nicht so ganz an der Wahrheit interessiert gewesen, da er nur drei Zeugen aufrief. Das täuschte, denn englischen Untersuchungen reichten sogar nur zwei Zeugen völlig aus. Das waren Lord und Lady Duff-Gordon.

Smith fand mehr über die Behinderung der Third-Class durch die White Star Line Angestellte heraus, als er je wissen wollte.
Er hörte von Überlebenden der First-Class, die ihre Feindseligkeit äußerten, daß überhaupt Third-Class-Passagiere gerettet worden waren, obwohl noch nicht alle First-Class-Passagiere gerettet waren.

Aber vielleicht lernte er auch noch, wie die Third-Class-Passagiere sich selber sahen.

Er hörte sich alles an. Alle Einschüchterungsversuche der Besatzung, wie z.B. die Androhung von Schadensersatzzahlungen für die Zerstörung von Eigentum (einige zerbrochene Barrieren, die die Crew aufstellte, um die Menschen davon abzuhalten, aus den unteren Decks zu kommen). Sie erzählten von Kämpfen mit der Crew, die ihnen den Weg versperrten und über ihr Flehen, wenigstens die Frauen durchzulassen. Dann fragte Smith jeden einzelnen dieselbe Frage: "Finden Sie, daß Sie die gleichen Chancen hatten, wie jeder andere das Schiff zu verlassen?"
Alle Zeugen antworteten: „Ja, wie jeder andere“.

© 2004  by Norman Fehling